Tango argentino
...eine unendliche Umarmung
Damals, also
irgendwann zwischen 1985 und 1990, fragte mich ein Freund, ob ich Lust hätte,
mit ihm in die Ufer-Fabrik zu gehen.
Dort sollte
ein Tango-Festival (!?) stattfinden.
OK, da
ich notorischer Tanzmuffel war, musste er mich schon mal dazu einladen
-
natürlich
incl. einem Freibier.
Ich will
die Sache mal auf das Wesentliche beschränken.
Ich saß
gerade - gemeinsam mit einem Krug Bier -
in einem Liegestuhl.
Irgendwann
erschien dann die damalige Berliner Tango-Szene.
Darunter auch eine Frau (keine
Angst, ich nenne keine Namen), die ich mal etwa so beschreiben will:
schlank, halblanges blondes Haar, in einem schwarzen Kleid - mit Schlitz
bis zur Hüfte und - Netzstrümpfen.
Sie fragte, ob sie einen Schluck von meinem Bier bekommen
könne, denn sie hätte Durst.
Natatata-türlich, kein Problem -
wobei, ich hatte
gerade so Sekt und Kerzenlicht vor meinem geistigen Auge. Egal, geistiges
Auge zu, die anderen Augen auf und den Arm ausstrecken war jetzt angesagt.
Zum Dank
für das Bier (?!), setzte sie sich zu mir und erzählte mir ein wenig darüber, wie das so beim Tango läuft (fester
Tanzpartner - aber auch Partnerwechsel und so).
Ich bekam
von ihren Ausührungen kaum etwas mit - vermutlich wegen dem Kleid bzw. dem
darin vorhandenem Schlitz usw.- und auch wegen dem Rest von ihr.
Etwas
später dann, fing dann die Musik an. Sie tanzte mit ihrem Partner.
Ich sah
ihnen zu und begann, trotz - oder wegen - heruterhängendem Unterkiefer,
etwas zu hyperventilieren.
DAS WILL
ICH AUCH! - dachte ich - dabei war ich mir nicht sicher, ob ich damit
die Frau oder den Tanz meinte; oder doch (?).
Schnitt-----
Jahre
später ergab sich, durch eine Freundin, die Gelegenheit zu einem Tangokurs
an der Volkshochschule Wilmersdorf.
OK, wir
fangen an: der Grundschritt (die Base) besteht aus acht Schritten.
Der Mann:
1. mit dem
rechten Fuß nach hinten
2. mit dem
linken Fuß nach links
3. mit dem
rechten Fuß nach vorne - neben der Frau! (Hä??)
4. mit dem
linken Fuß nach vorne - ok
5.
Schließen - die Frau hat jetzt die Beine gekreuzt (aha!)
6. mit
Links nach vorne
7. mit
Rechts zur Seite
8
Schließen.
Also wir
fangen jetzt mal an:
1. äähhh -
nach hinten!
2. äähhh -
nach links!
3. ok
4. ok
5. ich
weiß, schließen - ach ja, die Frau hat jetzt die Beine... - nee hat sie nicht.
Dass Frauen nicht das
machen, was ich will, weiß ich aus jahrelanger Erfahrung - aber hier hat
das doch die Lehrerin gesagt!
Nun sagte
die Lehrerin, ich muss die Frau führen - und die folgt dann (?!) - ups,
in meiner Welt, ergab schon der Versuch bisher immer stundenlange Debatten
- wo bin ich hier gerade ?
Es folgten
etwa eineinhalb Jahre, in denen mir verschiedene Tango-Lehrer/innen
versuchten beizubringen, wo ich wann meine Füße hinzustellen habe - und
wenn, obwohl ich das richtig gemacht habe, die Frauen dann immer
noch etwas machten, was ich nicht so geplant hatte - war ich dennoch daran
schuld - ich fühlte mich wieder wie auf meinem Planeten.
Einige
Frauen erzählten mir, sie verstünden nicht, was ich gerade von ihnen will
- naja, ich verstand auch oft nicht, was ich eigentlich von denen wollte -
weder beim Tangotanzen, noch sonst so.
Nun
besuchte ich also weiter Tango-Schulen, nahm an Praktikas teil und lernte
(gefühlte 100) Schrittfolgen und Figuren.
Irgendwann
landete ich bei zwei wundervollen Tangolehrerinen (Ich habe ja
versprochen, keine Namen zu nennen). Sie vermittelten
mir, wie
sich eine Frau fühlt, wenn sie mit mir tanzt - und - wie sie sich dabei
fühlen sollte; was für ein Unterschied - kein Wunder, dass sich keine
Frau beim Tanzen(!) in mich verliebt hat).
Sie tanzten
mit mir, korrigierten mich und gaben mir viele sehr gute Hinweise.
Erst jetzt begann ich zu begreifen, was mit Tango wirklich gemeint ist!
Nun, wenn
ich heute erlebe, dass eine Frau, nach dem Tanzen mit mir, mit einem
breiten Lächeln zu ihrem Platz zurückkehrt...
...wenn
eine Frau nach dem ersten Tanz mit mir strahlend sagt, "als ich dir zugeschaut habe,
habe ich gewußt wie es sein wird"
...wenn
ich nachts im Bett immer noch einen bestimmten Tanz vom Abend fühle,
dann ist das:
Mein Tango argentino
....hinterlässt manchmal wunderbare Erinnerungen an etwas,
das nie geschehen ist.

Tango ist für
mich viel mehr als Figuren tanzen und Schritte über die Tanzfläche.
Tango ist für
mich Hobby, Therapie, Bewegung, Begegnung, Musik, Poesie, der Ausdruck von
Gefühlen und Stimmungen; und manchmal, auch ---- eine "Drei-Minuten-Affäre" vor
aller Augen.
Gefühle und
Stimmungen, die abhängig sind von meiner aktuellen Situation, von der, wie auch
immer gearteten Beziehung zu der Frau, mit der ich gerade auf der Tanzfläche
bin.

Tango ist eine Sprache; und ab und zu bin ich auch mal
"sprachlos" oder "mir fehlen einfach die Worte".
(Der
folgende Text ist fast ausschließlich von Gerrit Schüler -
Tangolehrerausbildung)
"Einen Tango kann man mit einem Finger schreiben, aber nicht
ohne Seele" (Discepolo). Und, "Tango ist ein sexueller Tanz bis hin zur
Musik ", wie Carmen Calderón einmal sagte.
Tango argentino
"Choreographisch betrachtet ist der Tango ein Tanz, der denen
gehört, die ihn tanzen - und das sind die engumschlungenen Paare ".
(Aravena 1989.3.14)
Das Entscheidende beim Tango bleibt das Miteinander, tanzendes
Fühlen und das Gehen, als die elementarste und doch schwerste aller Bewegungen.
"Wer den Tango gut tanzen kann, der geht gut; aber dazu braucht man zehn
Jahre. Um eine Figur zu lernen, zehn Minuten". (der Tänzer Eduardo im
Interview mit Fabiana Basso, Tangoinfo Nr. 6)
Es geht also nicht um festgelegte Schritte oder Figuren
Es geht also nicht um festgelegte Schritte oder Figuren, obgleich
sie sich beschreiben lassen und sich im Laufe der Entwicklung des Tangos
sichtbar verändern, differenzieren, sich unterschiedlichen Tanzstilen zuordnen
lassen und sich mit ihnen auch die Tanzhaltung verändert.
"Bis
der Tango auf sich aufmerksam machte, war der Tanz nur ein Austausch von Figuren
zwischen Mann und Frau gewesen, so etwas wie ein Dialog mit Schritten.
Im Tango -
und darin liegt die Revolution - machen Mann und Frau aus diesem ewigen
Kontrapunkt Harmonie: Sie sind zwei Stimmen des gleichen choreographischen
Akkords". (Ferrer, 1980, Band l, S.53)
Von 'fehlender Gleichberechtigung' ......zu sprechen, ist
missverständlich.

Von 'fehlender Gleichberechtigung' im Zusammenhang mit der
klassischen Rollenzuweisung im Tango zu sprechen, ist missverständlich.
Die scheinbare Dominanz des Mannes ist in Wirklichkeit eine, die
die Frau ihm zeitweilig gewährt; die sie mitbestimmt. Maria Nieves, langjährige
Partnerin von Copes sagt, "dass die Frau achtzig und der Mann zwanzig
Prozent ist, aber ich werde dem Copes fünfzig zu fünfzig zugestehen, - weil er
selbst von einem Gleichgewicht spricht. Im wirklichen Leben ist die Frau
dem Manne praktisch ebenbürtig, und ebenso im Tanz".
Hierzu ist es
wichtig die Rolle des Machismo in der argentinischen Gesellschaft zu begreifen,
die subtile Macht der Frau, die gleichzeitig bereit ist, einem traditionellen
Bild von Frau und Weiblichkeit zu entsprechen.
Dabei soll
nicht verloren gehen, dass dort die Rollenverteilung im Tango, die dem Mann eine
aktive und verantwortliche Rolle, der Frau eine passive Rolle zuweist, anfangs
eng verknüpft erschien mit sexuellen Bedürfnissen des Mannes und finanziellen
Bedürfnissen der Frau und damit keine Grundlage für eine freie Entscheidung von
Seiten der Frau bot.
Im Tango als
Tanz manifestiert sich eine deutliche Auseinandersetzung um die
Geschlechterrollen. Sie werden sowohl immer noch eingehalten, als auch immer
wieder aufge-brochen; beides kann Ausdruck sozialer oder individueller
Bedürfnisse sein.
Die Haltung ....so nah wie tanzend nur irgend möglich
Die Haltung
beim Tango entwickelte sich zunächst aus dem Bedürfnis heraus dem Partner so nah
wie tanzend nur irgend möglich zu sein.
(die "Lizenz
zum Anfassen" ;-)
Sie wird von
Carmen Calderón (in Hanna, 1993), eine der wenigen Tänzerinnen, die es im Tango
zu Berühmtheit gebracht hat, sinngemäß folgendermaßen beschrieben:
"Die
Körper berührten sich fast vollständig, die rechte Hand des Mannes greift weit
um die Taille der Frau herum, der linke Arm der Frau schlingt sich je nach
Größenverhältnis um seinen Nacken oder ruht auf seinem rechten Oberarm, so dass
sie sich auf seiner rechten Schulter leicht abstützen kann.

Die beiden
freien Arme halten sich an den Händen gefasst und werden bis fast über Kopfhöhe
erhoben.
Die
Führung in dieser Haltung kann über wechselnden Druck der Hand des Mannes in der
Taille der Frau erfolgen, liegt aber im Wesentlichen darin, dass die Frau einen
Teil ihres Gewichtes an den Mann abgibt, sich leicht anleimt und sich auf diese
Weise perfekt an die Schritte des Mannes, die sie nicht kennt, anpassen kann.
Alle
Figuren, teilweise etwas brutal und vulgär, sind Aktivitäten des Mannes, die
geführt werden, denen die Frau folgt und in die sie Verzierungen einfügen kann,
jedoch ohne den Fluss des Tanzes, den der Mann bestimmt, zu stören".
Vom Mann werden Klarheit, Sicherheit und Festigkeit......Von der
Frau wird eine völlige Hingabe verlangt

Es ist dies
die typische eigenwillige Haltung des Tangos der frühen 20er Jahre, in dem das
Bild der ineinander verschlungenen Paare vorherrscht.
Diese Haltung
ermöglicht eine unmittelbare Übertragung der Körperbewegungen des Mannes auf den
Körper der Frau.
Vom Mann
werden Klarheit, Sicherheit und Festigkeit in der Bewegung verlangt, ohne jedoch
hart und unnachgiebig zu sein, was den Bewegungsfluss unterbrechen würde.
Von der Frau
wird eine völlige Hingabe verlangt, eine Geschmeidigkeit des Körpers, ohne dabei
an Spannung oder Aufmerksamkeit für plötzliche Veränderungen zu verlieren.
Dabei wird
diese Haltung jedoch an keiner Stelle als einzig richtige festgeschrieben,
vielmehr kann es als gesichert gelten, dass es immer so viele Tanzhaltungen gab
und gibt, wie es unterschiedliche Paare und Stimmungen gibt. "Was jedoch
meist gilt ist, dass die Frau dazu verpflichtet, ist ihm zu folgen; der Mann ist
der Schöpfer". (die Tänzerin Calderón)
Es sind klare
Rollenvorstellungen, mit denen wir es hier zu tun haben. Rollenvorstellungen,
die im ersten Moment erschreckend einfach und stigmatisierend wirken können,
jedoch keines von beidem sein müssen - hier sind sie zunächst Ausdruck einer
Zeit, einer Gesellschaft, einer Entwicklung und damit auch eines Bedürfnisses.
Einem Tanz, der .... die Begegnung von Mann und Frau in den
Mittelpunkt stellt

Mit der Zeit
gewinnt der Tango argent. an unterschiedlichen Facetten, es entsteht neben einem
Tanz, der das reine Fühlen, die Begegnung von Mann und Frau in den Mittelpunkt
stellt, ein Interesse an der Bewegung als Form künstlerischen Ausdrucks.
An diesem
Punkt, an dem die Figuren komplizierter und komplexer werden, kann die enge
Tanzhaltung als störend empfunden werden, da sie sowohl den Mann in seiner
Bewegungsfreiheit einschränkt, als auch der Frau wenig eigene Bewegungsräume
zugesteht.
Immer noch ist der Tango eine Begegnung zwischen zwei Menschen,
richtet sich nach Innen, nicht nach Außen
Märquez, ein
alter Milonguero meint: "Wenn ich also meine Sachen machen möchte, muss ich
die Verbindung zur Frau lösen. Also ehrlich gesagt, möchte ich nicht, dass wir
zusammen einschlafen. Ich will, dass sie sich etwas entfaltet und irgendwas
macht".
Mit dieser
inneren Haltung verändert sich auch die äußere Tanzhaltung, die Partner lösen
sich voneinander, die Führung bleibt beim Mann, gesteht der Frau aber einen
eigenen Raum zu.
Durch den
vergrößerten Abstand der Partner zueinander wird dem Mann ein Teil der
Führungsmöglichkeit über den direkten Körperkontakt genommen. Die Körperführung
verändert sich, bleibt aber weiterhin bestehen.

Die Frau
orientiert sich am Oberkörper des Mannes, sucht einen gleichmäßigen Abstand und
versucht die Parallelität der Oberkörper, das heißt den Kontakt, niemals
aufzugeben. Gleichzeitig bemüht sich der Mann durch einheitliche Bewegungen von
Oberkörper und Armen der Frau eindeutige Signale zu geben.
Immer noch ist
der Tango eine intime Begegnung zwischen zwei Menschen, richtet sich nach Innen,
nicht nach Außen, verliert jedoch etwas von dem Versuch, eine intensive
körperliche Nähe herzustellen, die vorher allein durch die äußere Situation
limitiert war.
Märquez
formuliert: "Ein paar Schritte, du erfindest was und fertig; du tanzt es
einfach. Es geht nicht darum, sich fürchterlich aufzublasen oder so, es ist
etwas Zartes und Gutes".
Mit dieser
allmählich vollzogenen Lösung der Partner aus der engen Umklammerung, werden die
Drehungen des Tangos der 40er Jahre und die eleganten und ausgreifenden Schritte
des Salontangos möglich.
Der Tango ist
Improvisation, Ausdruck der Gefühle, muss daher "führbar" sein - und er entsteht
in jedem Augenblick neu.
Jeder einzelne
Tango ist die immer neue aufregende Begegnung zwischen Mann und Frau - und
hinterlässt manchmal wunderbare Erinnerungen an etwas, das nie geschehen ist.
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